BTW 2017 - DIE LINKE: "Es genügt nicht zu sagen, wir machen einen idealen Stromtarif und ihr spart alle“
Die Energiewende ist beschlossen, die Pariser Klimaziele gesetzt und regenerative Energien sind auf dem Vormarsch. Energie scheint ein Thema, das im Wahlkampf wenig Kontroversen aufwirft. Doch Deutschland wird sein Klimaziel für 2020 voraussichtlich verfehlen, Elektromobilität will auf deutschen Straßen nicht ankommen und nicht zuletzt zeigt die Diesel-Affäre, dass Klimaschutz zwar auf dem Papier festgeschrieben wurde, die Realität dem Anspruch aber kaum nachkommt. Grund genug vor der Wahl bei Energiepolitikern aller Parteien nachzufragen, wie sich das ändern soll. In Teil 2 unserer Serie sprechen wir mit Eva Bulling-Schröter, energiepolitische Sprecherin der LINKEN.
Sie sind Schlosserin und wünschen sich, dass im Bundestag gerne wieder mehr Altenpfleger, Verkäufer, Handwerker - also die klassische Arbeiterschicht vertreten ist. Die von den Linken geforderte Abschaltung von Kohlekraftwerken bis 2035 würde aber vor allem die Arbeiterschicht in den Kohleregionen treffen. Würden Sie sich dann mit mehr Arbeitern im Parlament nicht ins eigene Bein schießen?
Eva Bulling-Schröter: Für uns ist es als Linke ganz wichtig, dass die CO2-Minderungsziele eingehalten werden. Darum streiten wir für konsequenten Klimaschutz. Wir sind in Deutschland noch ziemlich weit weg von 40 Prozent Treibhausgas-Reduktion bis 2020 gegenüber 1990, und jeder Sektor hat hier noch eine Bringschuld. Im Energiesektor wollen wir den Kohleausstieg schnell einleiten. Bis 2035, wenn der letzte Meiler vom Netz gehen soll, ist es aber noch eine ganz schöne Zeit. Wir brauchen einen Strukturwandel in der Bundesrepublik, und dafür brauchen wir Strukturprogramme. Das betrifft nicht nur den Energiebereich sondern auch zum Beispiel den Verkehrsbereich. Auch hier trägt Politik eine Verantwortung. Und die heißt beispielsweise ein Kohleausstiegsgesetz zu machen, natürlich mit Zielen, wann welche Kraftwerke abgeschaltet werden, aber auch mit einem Strukturwandelfonds über 250 Millionen Euro im Jahr, der es den Regionen ermöglicht andere Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht nicht von heute auf morgen, aber es muss passieren. Ein solcher gesteuerter Prozess gibt dann auch Planbarkeit, sowohl für die Unternehmen als auch für die Beschäftigten.
Der Bundesverband der Braunkohle (DEBRIV) schätzt, dass im Braunkohlesektor noch heute ungefähr 20.000 Beschäftige arbeiten. Das sind vor allen Dingen die Angestellten, die direkt im Kraftwerk der Kohleunternehmen oder unter Tage beschäftigt sind. Mit der Steinkohle kommen noch einmal ca. 12.000 Beschäftigte hinzu, die direkt in den Unternehmen arbeiten. Wie kann der Fonds reichen und was würden Sie damit machen.
Bulling-Schröter: Der Altersdurchschnitt der Beschäftigten liegt sehr hoch, da gehen viele bald in Rente. Dann gibt es eine super Ausbildung bei den Auszubildenden in der Branche. Auch für die anderen Beschäftigten gilt: je besser die Qualifikation, umso einfacher ist es zu wechseln. Darum brauchen wir Fortbildung und Umschulung. Zweitens geht es nicht darum, dass die Beschäftigten Abfindungen bekommen. Sondern es geht darum neue Arbeitsplätze zu schaffen. Im Bereich regenerativer Energien, im Dienstleistungsbereich. Und ich rede da nicht von Billigjobs oder Leiharbeit, sondern guten Jobs.
Im Gegensatz zur Bundesregierung nehmen Sie sich dem Thema Stromarmut an und möchten einen Sockeltarif einführen, der den grundsätzlichen Durchschnittsverbrauch abdeckt. So möchten Sie Anreize zum Stromsparen schaffen. Allerdings haben besonders ärmere Haushalte oft einen höheren Stromverbrauch, weil sie sich keine sanierten Wohnungen leisten können oder keine neuen A+-Geräte. Würden am Ende nicht vielleicht die falschen von so einem Grundtarif profitieren?
Bulling-Schröter: Wir wollen auch so eine Art Abwrackprämie für ineffiziente Elektrogeräte, um sich auch A++-Geräte leisten zu können. Das gibt es in einigen Ländern schon und wird sehr positiv angenommen. Ich bin auch der Meinung, dass Energiesparprogramme noch forciert werden sollten. Da kann man wirklich schulen, wie jemand Energie sparen kann.
Energiearmut hat im Übrigen auch was mit Gebäudedämmung zu tun. Es gibt wirklich Wohnungen, da kann man wenig Energie sparen, weil die einfach überhaupt nicht gedämmt sind. Und das muss natürlich auch in Verbindung gesetzt werden. Es genügt nicht zu sagen, wir machen einen idealen Stromtarif und ihr spart alle. Das wäre in der Tat wirklich unsozial und da muss die energetische Sanierung forciert werden. Wir wollen auch, dass ins Wohngeld schon ein realistischer Heizkostenfaktor mit eingebaut wird, sodass einkommensschwächere und ärmere Menschen nicht benachteiligt werden, wenn sie zum Sparen gar nicht in der Lage sind, solange das Haus nicht energetisch saniert ist.
Die Sanierungen würden Sie durch Fördermittel voranbringen?
Bulling-Schröter: Ja, zum einen über eine steuerliche Absetzbarkeit. Zum anderen muss Geld in die Hand genommen werden, um die KfW-Förderprogramme für die energetischen Sanierungen anzuheben. Die sollte für die Mieter kostenneutral sein. Anders geht es gar nicht, denn wir haben jetzt schon Mietwohnungen, wo Häuser wirklich toll energetisch saniert werden und die Leute sich freuen könnten. Die Mieten steigen aber so stark, dass sie ausziehen müssen. Und wenn Menschen Angst vor Sanierungen haben, dient das nicht der Energiewende, sondern diskreditiert sie. Wir wollen ja, dass die Energiewende angenommen wird.
Die Regierung hat kürzlich das Mieterstromgesetz nach langer Zeit durchgesetzt. Auch als Mittel gegen soziale Ungerechtigkeit auf dem Strommarkt. Mieter können jetzt eigentlich mehr von ihrem selbstproduzierten Strom profitieren. Trotzdem haben Sie das Gesetz als halbherzig kritisiert. Was fehlt Ihrer Meinung?
Bulling-Schröter: Da sind zum Beispiel Geschäftsbetriebe, die gleich in der Nähe sind und die nicht miteinbezogen werden können. Es ist auch so, dass Wohnungsbauunternehmen dann in Gewerbe- und Körperschaftsteuer miteinbezogen werden. Und jetzt wieder neue Firmen gründen müssen, damit sie nicht in die Gewerbesteuerpflicht kommen. Das halten wir für genauso falsch, wie die Deckelung der Mieterstrommenge. Es muss noch viel mehr passieren, damit die Menschen das Mieterstromgesetz auch wirklich breit in Anspruch nehmen können.
Sie wollen Bürgerenergie stärken und bemängeln, dass das EEG dies heute noch erschweren würde. Deshalb fordern die Linken in Ihrem Wahlprogramm eine Reform des Gesetzes mit sozialen Komponenten. Können Sie mir erklären wie das aussähe?
Bulling-Schröter: Mit dem EEG ist es so, dass die Kosten vor allem der Otto-Normalverbraucher und der Mittelstand bezahlen. Die EEG-Umlage soll nicht immer weiter steigen. Wir wollen mehr Menschen an der Zahlung der EEG-Umlage beteiligen, um sie dadurch abzusenken. Eigentlich müssten sich an ihr ja alle Verbraucher beteiligen, nur das ist nicht so. Wenn ich mir angucke, dass gerade die sogenannten energieintensiven Unternehmen fast nichts bezahlen, dann halten wir das nicht für gerechtfertigt. Wir würden die energieintensiven Unternehmen neu bewerten. Nicht jeder ist wirklich so energieintensiv oder im internationalen Wettbewerb mit Unternehmen, die weniger Umweltstandards haben. Und dann treten wir auch für einen Energiewendefonds ein. Die Stromkunden würden dann mit niedrigeren Umlagen bezahlen, dafür langfristiger. Den Mechanismus brauchen wir, weil die Kosten für die regenerativen Energien am Anfang sehr hoch waren. Jetzt sind sie niedriger, aber diese EEG-Kosten der Anfangszeit müssen 20 Jahre bezahlt werden. Und wir wollen, dass der Strompreis für die ganz normalen Stromverbraucher bezahlbar bleibt.
Also vor allen Dingen eine Umstrukturierung des Preises?
Bulling-Schröter: Ja, und eine Umverteilung der Kosten, indem sich die Industrie stärker beteiligt.
Im Juli hatten Sie in einem Artikel die These aufgestellt, dass Klimawandel und Umweltschutz auch Fragen der Geschlechtergerechtigkeit wären. Verursacher seien dabei insbesondere Männer vor allem auch in Führungspositionen. Wie kommt das und was kann man daran ändern?
Bulling-Schröter: Frauen denken in der Regel sozialer. Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen, die dann auch Einfluss auf Entscheidungen nehmen, auf Konzernentscheidungen.
Sie hatten auch angesprochen, dass Frauen öfter Opfer sind. Teilweise sind zum Beispiel an Naturkatastrophen immens mehr Frauen gestorben. Können Sie mir das erklären?
Bulling-Schröter: Nur so viel: Beim Tsunami im Indischen Ozean 2004 waren zwei Drittel der Todesopfer Frauen, sie wurden in den Häusern überrascht, während die Männer zum Fischen auf See waren und so der Flutwelle entgehen konnten. Auch lernen Frauen in Ostasien seltener Schwimmen. Frauen werden also bei Naturkatastrophen zum Opfer der unterschiedlichen Arbeitsverteilung in traditionellen Gesellschaften.
Sie sind Bundestagsabgeordnete für Ingolstadt. Die Stadt ist Unternehmenssitz und größter Produktionsstandort von Audi. Das Unternehmen ist heute mittendrin im Diesel- und Kartellskandal. Scheitert der Diesel, könnte das auch ein Aus für den Standort bedeuten. In der Region hängen ungefähr 45.000 Arbeitsplätze an dem Autobauer. Sie wollen die Verursacher zur Verantwortung ziehen, das heißt Audi und die Autobauer sollen für den Schaden der Verbraucher aufkommen. Nehmen Sie damit Kündigungen in Kauf?
Bulling-Schröter: Die Autobauer, die Kollegen am Fließband, haben überhaupt keine Schuld, sondern sind genauso Leidtragende, weil in den Manageretagen entschieden wurde zu tricksen. Und jetzt sind einige Vorstände schon entlassen worden oder werden jetzt gehen und auch noch dicke Abfindungen bekommen. Da ist am System schon einmal was falsch. Der Konzern macht jetzt wieder Gewinne, er ist nicht arm. Er wird daran nicht pleitegehen. Ich denke, es muss Verantwortung getragen werden. Dazu brauchen wir eine Umstrukturierung in der Automobilindustrie hin zu anderen Antriebssystemen. Das muss ziemlich schnell gehen. Wir wissen auch, dass durch Elektroantriebe Arbeitsplätze verloren gehen, die müssen in anderen Bereichen kompensiert werden. Und ich bin auch der Meinung, wir müssen ganz ernsthaft wieder über Arbeitszeitverkürzung sprechen. Die Angestellten müssen jetzt nicht arbeitslos werden, das wäre das falsche Signal. Sondern man müsste über Arbeitszeitverkürzungen, über Umstrukturierung, Entwicklung neuer Motoren und Fahrzeuge nachdenken.
Also Kurzarbeit für die Dieselindustrie?
Bulling-Schröter: Das würde ich jetzt nicht so nennen, aber sie müssen umstrukturieren. Ob sie dann kurzarbeiten müssen, ist was anderes. Es gibt ja auch Entwicklung bei Gasautos und so weiter. Da wird einiges passieren.
Was fahren Sie für ein Auto?
Bulling-Schröter: Ich fahre einen Audi A2, Diesel. Und ich muss mir jetzt überlegen, was ich danach für ein Auto fahre.
Sie sind selber betroffen vom Dieselskandal?
Bulling-Schröter: Ich bin selber betroffen. Ich habe mir vor vielen Jahren einen Audi gekauft und der ist jetzt 12 Jahre alt. Ich fahre mein Auto sehr, sehr lang. Weil das auch mit dem ökologischen Rucksack zu tun hat, wenn man sich immer Neues kauft.
Und das nächste wird ein…?
Bulling-Schröter: Das kann ich noch nicht sagen, es könnte ein Elektro werden, oder ein Gasauto. Da muss ich jetzt klug überlegen. Aber definitiv natürlich kein Diesel.
Vielen Dank für das Interview.
Energiepreise Der SWR zu Gast beim Energieverbraucherportal
Am 13. Februar 2023 war das SWR-Fernsehen zur Aufzeichnung eines Beitrags zum Thema „Strom- und…
Interview Unser Energieexperte über Online-Vergleichsportale und ihr Einfluss auf den Strommarkt
Die Liberalisierung des Strommarktes und die Digitalisierung vieler Alltagsbereiche haben im…
Erneuerbare Energien "Das grüne Gas-Label stellt sicher, dass alle Verarbeitungsstufen des Biogases berücksichtigt werden"
Umweltfreundliche Bio-und Ökogas-Tarife sind für den Verbraucher nicht immer auf den ersten Blick…
Interview Bundesregierung und Klimaschutz - „Wichtig ist vor allem, dass sich etwas ändert“
Deutschland und Klimaschutzziele – das ist eine Beziehung, die viele als kompliziert ansehen würden.…
Innovation „Die herausragende Eigenschaft von Power-to-Gas ist die gute Speicherbarkeit“
Im Interview mit dem Energieverbraucherportal erklärt Dr. Matthias Deutsch, Projektleiter beim Denk-…